Malte Heidemann/Franziska Schäfer: Tatort Mittelalter. Berühmte Kriminalfälle, Verlag Philipp von Zabern, Darmstadt 2013
Nanu, Kriminalfälle des Mittelalters – und dann so ein eher schmales Bändchen von etwa 150 Seiten? Obwohl doch das Mittelalter notorisch im Ruf steht, ein besonders grausames Zeitalter gewesen zu sein, dessen Verbrechen zu beschreiben eigentlich ganze Regale mit ausladenden Folianten in Anspruch nehmen müsste? Selbstverständlich ist es möglich, sich auch kurz gefasst und pointiert mit der Sache zu beschäftigen. Wie beim guten Film kommt es auf die Auswahl und den Schnitt an!
In der Einleitung erläutern wir einige Kennzeichen des mittelalterlichen Strafrechts, ohne das Thema allzu vertieft zu behandeln. Dazu gehört insbesondere der generelle Charakter des Rechts jener Epoche: Es war ein soziales Ereignis und meist ein Resultat von langfristigen Abstimmungsprozessen maßgeblicher gesellschaftlicher Gruppen.
Nach unseren Forschungsschwerpunkten beschränken sich die Fälle auf das Hoch- und Spätmittelalter. Dabei starten wir mit einer spektakulären und hochpolitischen Entführung aus dem Jahr 1062, als eine einflussreiche Gruppe um den Kölner Erzbischof es wagte, sich des minderjährigen Königs Heinrich IV. zu bemächtigen. Dem unglückseligen Petrus Abaelard, einem der klügsten Köpfe jener Zeit, wurde die Liebe zu seiner Schülerin Heloïsa zum Verhängnis – aber wiederum auch denjenigen, die ihn entmannten. Wie weit sogenannte Ketzer außerhalb der Gesellschaft standen, zeigt ein Blick auf die Geschichte der Katharer und Albigenser, der größten Ketzerbewegung des Mittelalters, die in Deutschland mit der Lynchjustiz einer aufgeputschten Volksmenge spätestens um 1143 manifest wurde und nach 1209 mit einem grauenhaften, 20 Jahre dauernden Kreuzzug in Südfrankreich endete. Welch tragische Folgen ein nur gedachter Ehebruch zeitigen konnte, beweist der Fall der armen Maria von Brabant, der Frau des ebenso eifersüchtigen wie rabiaten Herzogs von Bayern, dessen später entstandener Beiname seinen Charakter gut beschreibt: Ludwig II., der Strenge. Ein markantes Beispiel für Gewaltexzesse gegen religiöse Minderheiten bietet der sogenannte „Rintfleisch-Pogrom“, der 1298 zur Ermordung von fast dreieinhalbtausend Juden in 44 Städten des römisch-deutschen Reiches führte. Dass dem reichen Templerorden in Frankreich nach 1307 geradezu mit modernen polizeistaatlichen Mitteln der Garaus gemacht wurde, beweist auch, wie sehr manche Königtümer gegen Ende des Mittelalters bereits effiziente Strukturen herausgebildet hatten und sich im Übrigen unorthodox neue Geldquellen erschlossen. Ein Königsmord gehört selbstverständlich ebenfalls in eine beispielhafte Reihe von Verbrechen im Mittelalter – wir haben den gewaltsamen Tod des englischen Herrschers Edward II. im Jahre 1327 ausgewählt, der sich ebenso mit widerspenstigen Adligen wie mit seiner eigenen Ehefrau in Auseinandersetzungen verstrickt hatte. Was ist Schenkung, was ist Diebstahl? Normalerweise sollte diese Frage klar zu entscheiden sein. Wenn sie jedoch einen Herrscher wie den römisch-deutschen Kaiser Karl IV. betrifft, der als sehr fromm galt und sich ebenso freundlich wie nachdrücklich Heiligenreliquien übertragen ließ, so erhält die Angelegenheit eine pikante Note. Dass bedeutende Herrscherhäuser listig zu Ruhm gelangen können, mag ein Blick nach Österreich beweisen. Die dortigen Herzöge aus dem Hause Habsburg suchten Mitte des 14. Jahrhunderts eine komfortable unabhängige Position mit einer gefälschten Urkunde, dem sogenannten Privilegium Maius, zu gewinnen – und hatten damit ein Jahrhundert später auch durchschlagenden Erfolg. Der Seeräuber Klaus Störtebeker verlor 1400 oder 1401 Kopf und Leben und fünf Jahre später wurde auch der Münzmeister von Thann hingerichtet, er aber in einem Kessel siedenden Wassers wegen einer sehr spezifischen Form des Betrugs, die es auch im 21. Jahrhundert noch gibt: die Herstellung von Falschgeld.