An dieser Stelle veröffentlichen wir in unregelmäßiger Folge Empfehlungen anregender Sachbücher aus verschiedenen Wissensbereichen. Dies können neue, aktuelle Bücher sein, aber durchaus auch Werke, die schon vor längerer Zeit erschienen sind. Entscheidend ist ihre Verständlichkeit für Laien – und dass wir sie guten Gewissens weiterempfehlen können. Wir freuen uns über Rückmeldungen und Kommentare unserer Leserinnen und Leser!

 


Gioachino Rossini im Spiegel seiner Epoche

Arnold Jacobshagen: Gioachino Rossini und seine Zeit (Große Komponisten und ihre Zeit), Laaber-Verlag, Laaber 2015 – www.laaber-verlag.de

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Foto: Laaber-Verlag, Laaber

Jeder Band der instruktiven Reihe „Große Komponisten und ihre Zeit“ des Laaber-Verlags gibt zunächst einen kurzen Überblick über die wichtigsten biographischen Daten, um dann detailliert auf Leben und Werk des jeweiligen Künstlers einzugehen. Dabei werden, heute selbstverständlich, Aspekte der Musikgeschichte mit Aspekten der Musiksoziologie gemischt, da Werke immer Teil der Zeit sind, in denen sie geschrieben werden, und musikalische Veränderungen immer auch allgemeingesellschaftliche Trends spiegeln.

Der im Sommer 2015 erschienene Band „Gioachino Rossini und seine Zeit“ von Arnold Jacobshagen beschäftigt sich mit einem Komponisten, der zwar für seine komischen Opern italienischer Prägung, den sogenannten Opere buffe, bekannt geworden ist, dessen Œuvre aber wesentlich mehr zu bieten hat. So gilt Rossini als Erfinder der typisch französischen Grand Opéra, der wichtigsten französischen Operngattung des 19. Jahrhunderts, für die auch Verdi und Wagner geschrieben haben. Jacobshagen geht dieser Gattungsüberschneidung bei Rossini genauso nach wie der Frage, wieso sich Paris zu der europäischen Musikmetropole des 19. Jahrhunderts entwickeln konnte. Dass Rossini wie alle Komponisten dieser Zeit einen intensiven Bezug zu der Stadt hatte und von ihr stark beeinflusst wurde (zumal er dort auch begraben liegt), wird von Jacobshagen ausgeführt und belegt außerdem, wie unhaltbar der im 19. Jahrhundert aufgekommene Begriff der nationalen Schule musikalisch ist. Außer der Analyse einzelner Werke kommen dem Zuschnitt der Reihe gemäß die zeitgeschichtlichen Hintergründe deutlich und allgemein verständlich zum Tragen. So können dank eines wohltuend klaren Schreibstils Laien genauso wie Fachleute von der Darstellung profitieren.

Arkadi Junold
(www.arkadi-junold.de)


Giacomo Meyerbeer – Hommage an ein fast vergessenes Genie

Sabine Henze-Döhring/Sieghart Döhring: Giacomo Meyerbeer: Der Meister der Grand Opéra. Eine Biographie, C.H.Beck, München 2014 – www.chbeck.de

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Foto: Verlag C.H.Beck, München

Giacomo Meyerbeer ist bezogen auf die Aufführungszahlen, aber auch seiner kompositionsgeschichtlichen Wirkung nach der wichtigste Opernkomponist des 19. Jahrhunderts. Sein künstlerischer Weg begann in Berlin, wo er zur Schule ging und studierte, und führte über Italien und Frankreich nach Berlin zurück. 1842 stieg er zum Hohenzollernʼschen Hofkomponisten und Generalmusikdirektor der königlichen Hofoper in Berlin auf; dass er im 19. Jahrhundert als Jude auf diese Position berufen wurde, ist nur durch sein herausragendes Renommee erklärbar – seine Freundschaft zu Alexander von Humboldt kam ihm dabei ebenfalls zu Hilfe. Neben seiner Tätigkeit als Komponist und Dirigent förderte Meyerbeer junge Nachwuchskünstler, darunter Tschaikowsky, Verdi und Wagner. Gerade Richard Wagner protegierte er nicht nur in Paris, sondern brachte dessen Werke auch gegen den Protest des Hohenzollernʼschen Hoftheaterintendanten auf die Bühne der heutigen Staatsoper Berlin. Sein Einfluss reicht bis in den „Parsival“ hinein.

Sabine Henze-Döhring und Sieghart Döhring zeichnen den Lebensweg dieses Superstars unter den Komponisten des 19. Jahrhunderts chronologisch nach; sie beleuchten seine Biographie von der Kindheit und Jugend in Berlin an über seine Ausbildung und die ersten kompositorischen Gehversuche mit den Lehrjahren in Italien bis hin zu seinem Aufstieg in Paris an der Grand Opéra und seiner Rückkehr nach Berlin. Wagners auf Meyerbeer gemünztem Aufsatz „Das Judentum in der Musik“ ist ein ausführliches Kapitel gewidmet. Auch die Auseinandersetzung Meyerbeers mit Mendelssohn-Bartholdy analysieren die Autoren.

Das Buch ist dank des klaren Schreibstils auch für Fachfremde gut lesbar. Neben Fakten zur Musikgeschichte flechten die Autoren viele Hintergrundinformationen zum Leben in Berlin und in Europa Mitte des 19. Jahrhunderts ein. Das Buch steht in der Tradition, den zu Unrecht vergessenen Komponisten wieder bekannter zu machen und auch wieder zu spielen. Denn dass Meyerbeer vom Spielplan verschwand, ist primär den antisemitischen Tendenzen seit der zweiten Hälfte des vorletzten Jahrhunderts geschuldet, für die Wagners Essay das prägnanteste und bekannteste Beispiel darstellt; aber auch die gewandelten Gattungsnormen der Oper haben dazu beigetragen, da Meyerbeer fälschlicherweise oft auf die Grand Opéra reduziert wird. Es gilt also nicht nur, den Großmeister dieser französischen Opernform wiederzuentdecken, sondern auch den Autor italienischer und deutscher Opern wie auch den preußischen Hofmusiker – Aspekte der Biographie Meyerbeers, die Henze-Döhring und Döhring gelungen thematisieren und zu einem stimmigen Gesamtbild verbinden.

Arkadi Junold
(www.arkadi-junold.de)

 


Instruktiver Leitfaden in eine abgelegene Welt

Sonja Bill: Tadschikistan. Zwischen Dušanbe und dem Dach der Welt, Trescher Verlag, Berlin 12010 – www.trescher-verlag.de

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In der tadschikischen Pamir-Region. Foto: textbaustelle Berlin

Normalerweise ist ein fünf Jahre alter Reiseführer nichts, was noch der Beachtung, geschweige denn einer Rezension wert wäre. In diesem Fall verhält es sich mit der Frage der Aktualität jedoch ein wenig anders. Denn die ehemalige Sowjetrepublik Tadschikistan im Herzen Asiens gehört – um es einmal vorsichtig auszudrücken – in der Regel nicht gerade zu den ersten Reisezielen, die sich Fernwehgeplagte aus der westlichen Welt zur Stillung ihrer Sehnsucht auswählen. Dabei hat das kleine Land, das seit dem Ende eines verheerenden Bürgerkriegs in den 90er-Jahren politisch halbwegs stabil ist (und das trotz seiner Nachbarschaft zum Dauerkrisenherd Afghanistan), Reisenden üppigen Reichtum zu bieten: ebenso herbe wie faszinierende Hochgebirgslandschaften, eine von persischen, mongolischen, türkischen, russischen und fernöstlichen Einflüssen geprägte Kultur, eine propere Hauptstadt sowie eine geradezu frappierende Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft der Menschen.

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Foto: Trescher Verlag, Berlin

Der Band von Sonja Bill bietet Entdeckern wertvolle Hilfestellung, um sich in dieser fremden Welt zurechtzufinden. Er ist nach einem bewährten Schema aufgebaut: Ein erster Hauptteil über „Land und Leute“ führt den Leser instruktiv in Landschaft, Natur, Geschichte, das aktuelle politische System und in kulturelle Besonderheiten Tadschikistans ein. Lediglich den historischen Abschnitt mögen sich nicht nur Geschichtsinteressierte vielleicht weniger summarisch gewünscht haben. Im großen Mittelteil stellt die Autorin die fünf Regionen des Landes mit ihren Sehenswürdigkeiten vor und hat dabei ein gutes Mittelmaß von Ausführlichkeit und Prägnanz gefunden. Nach meinen flüchtigen Eindrücken während eines Kurzaufenthalts sind die beigefügten praktischen Reiseinformationen einschließlich der Preisangaben keineswegs so veraltet, wie man dies nach mehr als fünf Jahren vielleicht denken könnte. Allgemeine Reisetipps, ein Sprachführer, Angaben weiterführender Literatur und anderes runden das Buch ab.

Insgesamt hervorzuheben sind zum einen die gelungenen Fotografien, die ein plastisches Bild des Landes und seiner Menschen vermitteln. Zudem hat Sonja Bill Essays über tadschikisches Leben, die Kultur und eigene Erfahrungen in den Mittelteil eingeflochten, Geschichten, die unterhaltsam und dennoch ernst die optischen Eindrücke der Fotos vertiefen. Dabei erahnt der Leser die durchaus ansteckende Liebe der Autorin zu Land und Leuten – sie selbst war für eine Entwicklungshilfeorganisation dort tätig und muss dabei und bei den Recherchen zu diesem ersten deutschsprachigen Reiseführer echte Freundschaft mit Tadschikistan und seinen Bewohnern geschlossen haben. Nicht zuletzt Reisen im Sammeltaxi auf den allgegenwärtigen Schotter- und Buckelpisten laden dazu auch ein.

Der Verlag hat für Ende 2015 die zweite Auflage des Buches angekündigt. Bleibt zu wünschen, dass sie noch mehr Zeitgenossen dazu anregt, dieses liebenswürdige Land zu entdecken.

 Malte Heidemann


Deutsche Außenpolitik zwischen Zaghaftigkeit und globaler Verantwortung

Stephan Bierling, Vormacht wider Willen. Deutsche Außenpolitik von der Wiedervereinigung bis zur Gegenwart, C.H.Beck, München 2014 – www.chbeck.de

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Foto: Verlag C.H.Beck, München

Wann wird die Politik von heute eigentlich zu dem, was wir als „Geschichte“ bezeichnen? Kann erst die nächste Generation die Geschichte der augenblicklichen Gegenwart schreiben, weil erst sie die vergangene Epoche als Ganze überblicken kann? Oder kann der heutige Tag bereits morgen Gegenstand der Geschichtsschreibung sein? Das ist eine spannende und sicher auch diskutierbare Frage, die sich dem Leser von Stephan Bierlings Buch „Vormacht wider Willen. Deutsche Außenpolitik von der Wiedervereinigung bis zur Gegenwart“ gelegentlich stellen mag. Denn der Regensburger Politologe unternimmt hier einen ausgesprochen anregenden Versuch, auf einem sehr heiklen Gebiet deutscher Politik die Grenzen von Geschichtsschreibung, Gegenwartsanalyse und Journalismus zu überschreiten.

Bierling holt den Leser an einem Punkt ab, den man mittlerweile zweifelsfrei als „Geschichte“ wird bezeichnen können, Mauerfall und Wiedervereinigung, und entfaltet von da aus die außenpolitischen Problemlagen, Entwicklungen und Entscheidungen samt den charakteristischen Schwerpunkten der deutschen Regierungen seither. Er gliedert seine Darstellung nach den Kanzlerschaften von Helmut Kohl, Gerhard Schröder und Angela Merkel in drei Hauptkapitel plus Einleitung und Schluss und gestaltet innerhalb der großen Abschnitte einzelne Themenblöcke. Dabei gelingt es Bierling, Ereignisse, die Zeitgenossen seinerzeit in den Medien mitverfolgen konnten, nochmals plausibel zu machen, in Kontexte zu stellen, zu deuten, sodass sich der Leser ein Verständnis der deutschen Außenpolitik der letzten zweieinhalb Jahrzehnte in ihrem Zusammenhang bilden kann. So lässt sich beispielsweise die europäische Einigung von Maastricht bis einschließlich zur Euro-Schuldenkrise noch einmal übersichtlich nachvollziehen, werden die Kriege auf dem Balkan, in Afghanistan und im Irak in ihren Auswirkungen auf die deutsche Politik analysiert und nimmt der Verfasser noch die Erschütterungen in der Ukraine bis zum Frühjahr 2014 in den Blick.

Bei all dem hält Stephan Bierling mit seiner eigenen Position aber keineswegs hinter dem Berg, am deutlichsten in der Bewertung der Außenpolitik Gerhard Schröders, die er für sprunghaft und zu sehr an der Wirtschaftspolitik orientiert hält. Aber auch das außenpolitische Engagement der Regierungen Merkel schätzt er als zaghaft und stark von innenpolitischen Rücksichten dominiert ein. Stattdessen plädiert er für eine klare Linie in der deutschen Außenpolitik, die, eingebettet in einen multilateralen Rahmen, Führungsverantwortung übernehmen und auch bereit sein soll, unbequeme Militäreinsätze mitzutragen und -gestalten. Man muss Bierling sicher nicht in allen Punkten recht geben, aber dass er seine Haltung deutlich macht, ohne sie dem Leser aufzudrängen, dass er stets nachvollziehbar argumentiert, macht sein Buch sehr angenehm lesbar. Es ist auch ohne jegliche politikwissenschaftliche Vorkenntnisse und unabhängig vom politischen Standpunkt eine Lektüre mit Gewinn.

Malte Heidemann

 


Der Philosoph als Spion? Giordano Bruno und der englische Geheimdienst

John Bossy, Agent der Königin. Giordano Bruno und die Londoner Botschaftsaffäre 1583–1586. Aus dem Englischen übersetzt von Wolfdietrich Müller, Klett-Cotta, Stuttgart 1995 – www.klett-cotta.de

Originalausgabe: Giordano Bruno and the Embassy Affair, Yale University Press, New Haven/London 1991

Cover Bossy

Repro: Klett-Cotta Verlag, Stuttgart

Das Schicksal Giordano Brunos bewegt bis heute. Der Dominikanermönch aus Nola bei Neapel entfloh seinerzeit seinem Orden, weil ihm wegen kritischer Haltungen in Fragen der kirchlichen Lehre ein Prozess bevorstand, und begab sich auf eine Irrfahrt durch halb Europa, die erst mit seiner Gefangennahme in Venedig 1592 enden sollte. In diesen sechzehn Jahren des unsteten Lebens verfasste Giordano Bruno eine Reihe von Schriften, die ihn als einen der außergewöhnlichsten Denker in der europäischen Geistesgeschichte zeigen, aber auch in einen unversöhnlichen Gegensatz zur römischen Kirche brachten. Denn Bruno verteidigte nicht nur das damals revolutionäre Weltbild des Nikolaus Kopernikus, wonach sich die Erde um die Sonne dreht und nicht umgekehrt, sondern ging sogar noch deutlich darüber hinaus: Das Weltall galt ihm als unendlicher Raum, in dem eine unendliche Zahl an Welten wie die unsere mit unendlichen Möglichkeiten an Lebensformen in einem ständigen Prozess der Veränderung begriffen ist. Aus diesem Denkmodell folgten etliche Lehrsätze, die sich kaum noch mit einem christlichen Weltbild vereinbaren ließen; insbesondere für einen universalen Erlöser, der am Kreuz stirbt, war darin kein Raum. Nach einem Inquisitionsverfahren, das sich über zermürbende acht Jahre hingezogen hatte, verbrannte die Kirche den Unbequemen im Februar 1600 in Rom wegen Ketzerei.

Angesichts dieser durchaus bekannten Geschichte war das 1991 erschienene Buch „Giordano Bruno and the Embassy Affair“ des englischen Historikers John Bossy eine gewaltige Überraschung und erregte im angelsächsischen Raum einiges Aufsehen. Denn es versucht eine geradezu atemberaubende Hypothese zu untermauern: Bruno soll während seines Aufenthaltes im Haus des katholischen französischen Botschafters in London, Michel de Castelnau, in den Jahren 1583 bis 1586 als Spion für die protestantische englische Krone tätig gewesen sein. Folgt man Bossy, so ist es dem dunklen Alter Ego des Philosophen gelungen, ein brandgefährliches Komplott katholischer Kräfte zu enttarnen – und das zielte auf nichts weniger ab, als eine Invasion französischer und spanischer Truppen in England vorzubereiten, Queen Elizabeth I. zu ermorden und an ihrer Stelle ihre katholische Rivalin Mary Stuart aus Schottland zu küren! Bruno gelangte an diese heißen Informationen, indem er sich mit Castelnaus Sekretär Nicolas de Courcelles anfreundete und ihn dazu brachte, wie er selbst für den englischen Geheimdienst zu arbeiten, den wiederum der Staatssekretär der Queen, Sir Francis Walsingham, koordinierte. Auf diese Weise wurde ruchbar, dass ein Adliger namens Sir Francis Throckmorton die Fäden der Verschwörung spann – er wurde im November 1583 festgenommen und Mitte des folgenden Jahres wegen Hochverrats hingerichtet.

Bruno Campo dei Fiori

Denkmal des Giordano Bruno in Rom. Foto: Berthold Werner (www.wikipedia.de)

Die Korrespondenz des Spions unter dem Pseudonym Henry Fagot mit Walsingham ist erhalten geblieben und lagert überwiegend in der British Library und dem Public Record Office in London; die Texte sind sowohl im Originalwortlaut wie in Übersetzung dem Buch als Anhang beigegeben. Bossy versucht plausibel zu machen, dass hinter der mysteriösen Gestalt Fagot niemand anderes als Giordano Bruno steckte, und kann dabei auf teilweise bestechende Argumente verweisen: Fagot tauchte unmittelbar nach der Ankunft Brunos im Hause Castelnaus im April 1583 erstmals auf, schrieb ein italienisch gefärbtes Französisch und war offenbar Priester mit ausgeprägt papstfeindlichen Ansichten. Zudem lassen insbesondere die ersten Briefe erkennen, dass Fagot noch nicht lange als Spion tätig gewesen sein kann. Seine Spuren verlieren sich 1586 in Paris, von wo aus sich Bruno nach Deutschland abgesetzt hat – alles Gesichtspunkte, die in Tat stark dafür sprechen, Fagot mit der Person des Philosophen zu identifizieren.

Gleichwohl wirken manche Gedanken- und Beweisgänge in Bossys Buch gewunden und bemüht – und auch nicht immer überzeugend. Eine entscheidende Rolle für sein Anliegen muss natürlich der Abgleich der Handschrift Giordano Brunos mit der Fagots spielen, aber hier ist der Befund keineswegs so eindeutig, wie man es vielleicht hätte erwarten können. Sicher rührt das einerseits daher, dass von Bruno nur wenige handschriftliche Zeugnisse überliefert sind. Dennoch ist die Schlussfolgerung Bossys, Bruno sei entsprechend seinen brillanten Fähigkeiten zur Verstellung auch in der Lage gewesen, seine Handschrift je nach Situation bis zur Unkenntlichkeit zu verändern, nicht gerade befriedigend.

Trotz dieser Einschränkungen ist das Buch keineswegs skurriler Stoff für spezielle Freunde von Verschwörungstheorien, sondern ebenso für neugierige Nicht-Historiker wie natürlich auch für Experten eine ausgesprochen anregende Lektüre, die auf sauberen und intensiven historischen Forschungen beruht. Der Verfasser verfolgt an zahlreichen Stellen minutiös die Handlungsabläufe, analysiert Passagen aus den Dialogen Brunos, die gerade in der Londoner Zeit sehr zahlreich entstanden sind, erwägt, nimmt mögliche Zweifel in seine Darstellung auf und versucht seine Leserinnen und Leser fast wie in einem Gespräch von seiner Auffassung zu überzeugen. Nur dort, wo die Argumentation sich allzu sehr mit Details beschäftigt, mag vor allem Laien geraten sein, auch einmal Passagen zu überspringen und sich an die eher überblicksartigen und resümierenden Abschnitte zu halten, um nicht die Freude an der Lektüre zu verlieren.

Der Reiz des Buches liegt in erster Linie in der Beschäftigung mit einem der bemerkenswertesten Denker der abendländischen Geschichte und in einem sehr unkonventionellen Zugriff des Autors auf die Thematik. Und natürlich drängt sich die Frage auf, ob Giordano Bruno tatsächlich der Agent war, als der er hier dargestellt ist. Hat er nun oder hat er nicht? Machen wir uns dabei bewusst, dass die Theorie Bossys Bruno als einen reichlich abstoßenden Charakter erscheinen lässt, der zum schwersten Verrat an denen, die ihn schützten, in der Lage war. Trifft dies alles zu, hat er seinem Gastgeber Michel de Castelnau, den Botschafter der französischen Krone in England, in dessen Haus er dreieinhalb Jahre lebte und dem er einige seiner Londoner Dialoge gewidmet hat, praktisch das Messer in den Rücken gestoßen – wobei der Botschafter noch von Glück reden konnte, nicht selbst in den Sog des gescheiterten Komplotts wie Throckmorton zu geraten. Opfer des Verrats wäre dann auch der französische König Heinrich III. gewesen, der von Bruno überzeugt war und ihn 1583 mit einem Empfehlungsschreiben nach London gesandt hatte, um ihn in Paris aus der Schusslinie in unerquicklichen Auseinandersetzungen zu nehmen. Und Bruno hätte natürlich auch Throckmorton mit auf dem Gewissen, der vor seiner Hinrichtung schwer gefoltert wurde; Bossy geht so weit, Bruno als handfesten Sadisten zu bezeichnen.

Fundamental anders fällt dagegen das Bild aus, das Eugen Drewermann in seinem Buch „Giordano Bruno oder Der Spiegel des Unendlichen“ aus dem Jahr 1992 gezeichnet hat – hier erscheint der Philosoph aus Nola in einer fiktiven Rückschau auf sein Leben und Leiden kurz vor seiner Verbrennung als leidenschaftlich Liebender, dessen Suche nach der Wahrheit vor der Borniertheit klerikaler Machtträger endet. Man wird kaum irren, wenn man diese völlig konträren Interpretationen auch auf das schillernde Wesen des Giordano Bruno zurückführt, das sich einem Erkenntnisstreben und klaren Festlegungen nur zu sehr widersetzt; und es hat wohl auch viel mit der Einsamkeit dieses ebenso herausragenden wie unsteten Geistes zu tun. So bleibt angesichts widerstreitender Erklärungsmodelle nur ein kräftiger Zweifel – und die Einsicht, dass so manches Wissen um Giordano Bruno unwiederbringlich mit ihm auf dem Scheiterhaufen dahingegangen ist.

 Malte Heidemann