Andreas Englisch: Der Kämpfer im Vatikan

Die Kirche und ihre Erblasten

Papst Franziskus und sein mutiger Weg, 7. Auflage, C. Bertelsmann Verlag, München 2015/2016 – www.randomhouse.de/verlag/C.-Bertelsmann/3000.rhd

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Foto: Verlag C.Bertelsmann, München

Als ich für eigene Recherchen über die Konfliktlinien innerhalb der katholischen Kirche das neueste Werk von Andreas Englisch über den „Kämpfer im Vatikan“ in die Hand nahm, war ich ausgesprochen skeptisch. Nicht zuletzt aufgrund einiger Talkshowauftritte erwartete ich von dem ehemaligen Korrespondenten des Springer-Verlages in Rom nicht mehr als Hofberichterstattung im negativsten Sinne. Dass er ein packendes Buch über Papst Franziskus geschrieben hat, in dem er erfrischend klare Kante zeigt und die Opposition gegen den Argentinier aus dem Inneren der Kurie heraus beleuchtet, hat mich dann doch sehr positiv überrascht.

Das Werk lässt kaum ein heißes Eisen aus, das es derzeit im Vatikan geben mag. Vom sogenannten Vatileaks-Skandal und dem Rücktritt Benedikts XVI. über die seit Jahrzehnten dubiose Rolle der Vatikanbank bis hin zu aktuellen Streitfragen über den theologischen und politischen Kurs der Kirche – Englisch hat den Mut, die Konflikte, die Franziskus derzeit mit seiner Kurie offenbar mit harten Bandagen ausficht, nachzuzeichnen und dabei selbst nicht mit seiner Meinung über den Berg zu halten.

Gleich zu Beginn ortet er ein wesentliches Motiv dafür, warum der neue Papst schon unmittelbar nach seiner Wahl im März 2013 in konservativen Kirchenkreisen aneckte: Als lateinamerikanischer Jesuit steht Franziskus für eine Tradition, die im Vatikan noch nie wirklich hoch angesehen war. Denn dass sich die Kirche konsequent auf die Seite der Ärmsten und Unterdrückten stellen und ganz praktisch dazu beitragen solle, deren Lebensumstände zu verbessern – dies gehört grundlegend zu seinem Selbstverständnis, ohne damit gleich ein Anhänger der Befreiungstheologie zu sein, die seit den 60er-Jahren auch den gewaltsamen Kampf für gerechtere soziale Verhältnisse propagierte. Er selbst hatte als Erzbischof von Buenos Aires gemeinsam mit seinen Mitarbeitern diese Barmherzigkeit vorgelebt und war ohne Polizeischutz in die Elendsviertel gegangen, ohne dass ihm je ein Haar gekrümmt worden wäre. Nun als Papst verlangt er von seiner Kirche ein radikales Umdenken. Eine solche Neuausrichtung ist in einer reichen Institution, in der manche Kardinäle in Luxuswohnungen leben und sich über Slums unweit des Vatikans mokieren, in der zudem das eigene Geldhaus illegale Geschäftspraktiken pflegt, schon eine Zumutung. Englisch legt dar, wie Franziskus auch von seinen Vorgängern abweicht, die die Armen immer auf den Glauben verwiesen haben und von einer praktischen Fürsorge nichts wissen wollten. Hinzu kommt, dass er, so scheint es jedenfalls, revolutionäre Entscheidungen in der kirchlichen Lehre vorbereitet – insbesondere die Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zu den Sakramenten, was in der katholischen Kirche bislang als völlig undenkbar galt. Insofern macht Englisch anschaulich plausibel, wie sich Franziskus mit seinem Kurs innerhalb des Vatikans Feinde schafft: In deren Augen führt er, theologisch nicht ausreichend versiert, die Kirche in den Abgrund. Er wiederum wirft seiner Kurie wie in der schon legendär gewordenen Weihnachtsansprache von 2014 „spirituellen Alzheimer“ vor und fordert sie auf, sich weg von Geltungssucht, menschenverachtendem Bürokratenhochmut und Habgier zu Christus und dem Nächsten hinzuwenden.

Englischs Darstellung kann man an den Stellen kritisch sehen, wo er Benedikt XVI. einseitig negativ als weltfremden akademischen Theologen schildert, der von seiner Kurie vollständig entmachtet und alleingelassen von einer politischen Peinlichkeit in die nächste stolpert. Dies hatte Englisch bereits in früheren Werken vertreten, zuletzt in „Franziskus – Zeichen der Hoffnung“ von 2013*. Ein Vergleich etwa mit dem Buch seines theologisch sicher beschlageneren und zugleich deutlich konservativeren Kollegen Michael Hesemann, ebenfalls von 2013**, zeigt demgegenüber ein völlig konträres Bild: Für Hesemann hat Benedikt XVI. wirklich alles richtig gemacht und bedeutet das Pontifikat Franziskus‘ die organische Fortsetzung dessen, was sein Vorgänger in weiser Voraussicht angelegt hat.

Hinter solch fundamental gegensätzlichen Ansichten erscheint die heikle Frage nach den Quellen, die dem zugrunde liegen. Englisch verweist immer wieder auf Gesprächspartner, die er in seiner langjährigen Tätigkeit als Vatikanbeobachter kennengelernt hat und die in etlichen Fällen anonym bleiben. Könnte er mehr tun, außer noch belegte öffentliche Äußerungen oder Schriftliches heranzuziehen (was er tut), wenn es etwa um die Konsequenzen aus den Skandalen der Vergangenheit oder mögliche künftige Lehrentscheidungen des neuen Papstes geht? Mag dies für kritisch mitdenkende Leser auch unbefriedigend sein: Bei solch umstrittenen Themen bleiben sie am Ende auf das Wissen, die Erfahrung und das Fingerspitzengefühl und damit die Subjektivität eines Berichterstatters angewiesen. In vielen Aspekten seines „Kämpfers im Vatikan“ kann ich Andreas Englisch gut folgen, sperre mich jedoch dagegen, wenn er das praktische Handeln Franziskus‘ ganz und gar gegen die Gelehrsamkeit Benedikts XVI. ausspielt und Ersteres zum ausschließlichen Maßstab erklärt. Beide Dimensionen, das Geistige und das Soziale, haben zu verschiedenen Zeiten sicher verschiedene Schwerpunkte gefunden, aber sind beide gleichwohl fundamental für die Kirche in ihrer Geschichte. Wenn gegenwärtig das Pendel wieder mehr in die Richtung des karitativen Handelns schwingt, so hat dies seinen guten Sinn, braucht deswegen aber nicht über den Verlust der intellektuellen Dimension kirchlichen Lebens und Glaubens zu gehen. Wieder auf einem anderen Blatt steht die Frage, ob der zurückgetretene Papst die angemessene Unterstützung seiner Kurie gefunden hat – an der Stelle wiederum sehe ich mit Englisch (und ganz anders als Hesemann) massive Probleme, die den Vatileaks-Skandal mitausgelöst haben.

Insgesamt ist das Buch flüssig und unterhaltsam geschrieben und wendet sich an ein theologisch nicht gebildetes Publikum. Theologische und kirchengeschichtliche Zusammenhänge werden (bei gelegentlichen kleineren Ungenauigkeiten) allgemeinverständlich erklärt. Hier und da schießt der Verfasser allerdings über das Ziel hinaus und bedient sich einer allzu journalistisch-lockeren, mitunter sogar flapsigen Ausdrucksweise, die nicht zum Thema passt.

Trotz der angesprochenen Kritikpunkte:  Das Buch führt gelungen in die aktuellen innerkirchlichen Konflikte und Streitfragen samt ihren geschichtlichen Hintergründen ein und zeigt anschaulich auf, was die Wahl des argentinischen Papstes in ihrer ganzen Tragweite bedeutet.

Malte Heidemann

* Andreas Englisch: Franziskus – Zeichen der Hoffnung. Vom Erbe Benedikts XVI. zur Revolution im Vatikan, C. Bertelsmann Verlag, 10., erweiterte Auflage, München 2013/2014

** Michael Hesemann: Papst Franziskus. Das Vermächtnis Benedikts XVI. und die Zukunft der Kirche, F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung, München 2013

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